ÖPNV in/für Weiterstadt

wenn die Zukunft in der Vergangenheit liegen soll

Der Beirat zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung der Stadt Weiterstadt nimmt Stellung zur geplanten Änderung die Weiterstädter Buslinien betreffend:

ÖPNV in/für Weiterstadt
wenn die Zukunft in der Vergangenheit liegen soll

Seit Mitte November beschäftigt uns nun intensiv das Thema ÖPNV-Anbindung von Weiterstadt an das Zentrum von Darmstadt. Der Grund dafür sind die Pläne der DADINA, Weiterstadt zurück ins letzte Jahrtausend zu schicken.
Konkret geht es darum, die Buslinien aus Weiterstadt vom zentralen ÖPNV Dreh- und Angelpunkt Luisenplatz in Darmstadt abzukoppeln. In Zukunft sollen die Buslinien wieder am Mathildenplatz enden, so wie es bereits vor etwas über 20 Jahren der Fall war.

Das ist zumindest der Vorschlag eines Gutachten, das von der DADINA in Auftrag gegeben wurde. Die Zusammenfassung aus April 2023 kann der Einladung zur Sitzung der Verbandsversammlung im Juli 2023 entnommen werden.

Die Problemstellung ist das (teilweise auch noch zu erwartende) steigende Verkehrsaufkommen am Luisenplatz. Dazu sollen die Innenstadthaltestellen gesamtheitlich betrachtet werden, ein-schließlich der Haltestellen Mathildenplatz und Willy-Brandt-Platz. Hier beginnt jedoch schon, zu-mindest aus unserer Sicht, das erste Problem: eine mehrere hundert Meter entfernte Haltestelle ist nicht gleichwertig zu betrachten. Menschen mit Mobilitätseinschränkungen sind auf kurze und vor allem gute Wege angewiesen, um regelmäßig am Alltag teilnehmen zu können.

Besonders spannend ist auch eine Bemerkung im Fazit der Analyse: "Haltestellen am Mathilden-platz sind - im Gegensatz zum Luisenplatz - auch barrierefrei gestaltet."
Das ist, für sich alleine betrachtet, sicherlich richtig. Wirft aber jedoch mindestens 2 Fragen auf:
Sind es denn auch die Wege von dort, z.B. zum Luisenplatz?
Wird damit versucht, "Druck" vom Thema "Barrierefreiheit am Luisenplatz" zu nehmen?
Gerade die 2. Frage ist uns natürlich besonders wichtig. Oft schon wurde nach Feedback zum Lui-senplatz gefragt und die (fehlende) Barrierefreiheit ist dabei eines der Top Themen gewesen. Eine Argumentation, dass eine "nur wenige hundert Meter" entfernte Haltestelle, die ja barrierefrei ausgestaltet ist, nun die bessere Lösung, sein soll, statt sich einer barrierefreien Gestaltung zu widmen, ist befremdlich. Wir gehen daher davon aus, dass dies nicht die Intention eines solchen Vorschlags ist, wünschen uns aber eine deutliche Klarstellung.

In dem Gutachten ist weiterhin unter Punkt 4 Fazit zu lesen:
"Diese Szenarien [...] sollen somit nicht weiter verfolgt werden
[...]
Herausnahme weiterer Linien vom Luisenplatz?
-> Keine Akzeptanz seitens der Fahrgäste zu erwarten"
Wenn dies schon ein Fazit für weitere Linien ist, was führt zu der Annahme, dass die Herausnahme der Weiterstädter Linien eine Akzeptanz der Fahrgäste haben sollte?

Schon in der Bestandsaufnahme in Punkt 2 war zu lesen, dass der Luisenplatz als gelebter "shared space" betrachtet werden kann, auf dem es kaum zu Unfallsituationen kommt. Also eigentlich ein deutliches Zeichen für die hohe Akzeptanz und Relevanz des Luisenplatz für alle Menschen. Dies sollte auch weiterhin gefördert werden. Eine Herausnahme einer ganzen Stadt aus diesem zentra-len Dreh- und Angelpunkt widerspricht dem jedoch stark.

Auch interessiert uns, wie sich eine solche "Verlegung" der Haltestelle z.B. auf den Willy-Brandt-Platz auswirkt? Gibt es dazu Erkenntnisse? Aus unserer Sicht könnte es z.B. dazu führen, dass, um Laufwege zu vermeiden, dieser als Umstieg gewählt wird. Dieser ist jedoch weder barrierefrei noch besonders gut abgegrenzt von den Straßen. Der Platz ist zudem für zunehmende Fahrgastmengen (die die Umstiege mit sich brächten) nicht ausgelegt.

Eine weitere Frage, die wir uns gestellt haben: Inwieweit ist zu erwarten, dass sich diese Änderung auf andere Linien auswirkt? So fahren z.B. auch andere Linien über die Pallaswiesen- und Frankfur-ter Straße. Diese fahren dann weiterhin zum Luisenplatz. Es besteht also eine hohe Wahrschein-lichkeit, dass diese Linien dann den Weiterstädter Linien bevorzugt werden und sich eine weitere Überlastungssituation ergibt.

Gerade in Hinsicht auf Menschen mit Behinderungen, die den Luisenplatz teilweise schon nur er-schwert queren können, ist es besonders wichtig, nicht noch zusätzliche Wegstrecken zu schaffen. Der ÖPNV ist die zentrale Komponente einer mehr als notwendigen Verkehrswende. Dass die ge-setzliche Forderung eines barrierefreien ÖPNV im Jahre 2022 einfach ohne ernsthafte Resultate verstrichen ist, ist schon schlimm genug. Die fehlende Berücksichtigung von Bedürfnissen von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ist immer wieder erschreckend. Ein "kleiner Laufweg" von ein paar hundert Metern ist schließlich kein Problem. Außer eventuell im Winter bei Schnee und Eis mit einem Rollator oder Rollstuhl. Oder im strömenden Regen. Oder für einen blinden Menschen, der mehrfach eine mehrspurige Straße ohne Leitlinien queren und am Ende nicht aus Versehen in einem Tunnel ankommen soll.

Aus unserer Sicht ist der Vorschlag, Weiterstadt vom Luisenplatz als ÖPNV Dreh- und Angelpunkt abzuhängen, absolut nicht nachvollziehbar und auch nicht zu unterstützen. Auch eine eventuell irgendwann mal existierende Straßenbahn-Anbindung ändert daran nichts. Wir fordern, generell, nicht nur für Weiterstädter Linien, eine direkte Anbindung an zentrale Punkte im ÖPNV. Der ÖPNV ist oft die einzige Möglichkeit, sich selbstständig im Alltag fortzubewegen. Dort brauchen wir weni-ger und nicht mehr Barrieren.

_____________________________ _____________________________
Sonja John
Vorsitzende des Beirats zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen

Sven Michels
Behindertenbeauftragter der Stadt Weiterstadt

Den offenen Brief zu dieser Thematik finden Sie hier

Zurück